Die Inspiration
Seit Jahren wurden seine neuen Filme gar nicht mehr beachtet oder wenn, dann mit keinem guten Wort bedacht. Die Sexualität dränge sich proportional entgegengesetzt zum körperlichen Vermögen in den Vordergrund. Seniles Alterswerk und so weiter.
Eine amerikanische Schauspielerin hatte sich geweigert, vor laufender Kamera die Genitalien ihres Kollegen in den Mund zu nehmen. Die Szene wurde erst abgeändert, dann ganz gestrichen. Die Kleiderverbrennung im KZ musste man durch geschickte Schnitte so zusammensetzen, dass der Eindruck entstand, die Häftlinge stünden nackt vor dem brennenden Haufen. Sein neuer Film soll ein Opus werden, vielleicht sein letzter Film, ein Vermächtnis.
Mireille saß von ihren beiden kichernden Freundinnen umschlossen im Flur des Hotels. Hundert Euro für einen Drehtag, das war leicht verdientes Geld. Dazu bräuchte sie sich nur auszuziehen und in Aspik gießen zu lassen. Selbstverständlich würde der Kopf draußen bleiben, hatte der Assistent versichert. Er tauchte in der Tür auf und raunte: Fleischbeschauung und deutete ihnen mit der Hand den Weg nach drinnen. Der Maestro war noch nicht anwesend. Sein Assistent telefonierte, goss Champagner nach– in zwei Runden, damit er nicht überschäumte und sagte durch die Zähne hindurch, dass sich die Mädchen schon mal entkleiden könnten. Der Anblick nackter Körper war ihm so geläufig wie das immer wechselnde Interieur eines Hauses dem Auge eines Nachlassverwalters. Die Mädchen pellten sich aus ihrer Winterkleidung, legten das Kichern ab. Mireille hockte sich auf einen Stuhl und legte ihre Wolljacke um die Knie. Der Maestro erschien mit rotem Schal, von seinem Stab und einer seifigen Haschischwolke umgeben. Er rieb sich nicht die Hände und sagte, dann wollen wir mal, sondern schickte seinen Assistenten mit der Frage, ob er die jungen Damen Schauspielerinnen erfrieren lassen wolle, aus dem Raum, um einen Heizlüfter zu besorgen. Er nippte am Glas, verzog das Gesicht, rückte an seiner Sonnenbrille herum und da der Assistent nicht zurück zu kommen schien, beratschlagte er und meinte dann, er würde es kurz machen, die Damen mögen einzeln vortreten.
Mireilles Freundin, die das Casting in der Zeitung entdeckt hatte (Mensch, hundert Steine am Tag!), setzte ihr langes Bein in den Scheinwerferkegel, dann zog sie ihren Körper nach wie eine Katze. Sie ließ ihr Hemd wie einen Propeller über sich kreisen, drehte sich um sich selbst, wobei die fleischigen Pobacken ihren Stringtanga überquollen.
Und?, flüsterte eine Frau aus dem Stab, die rechts hinter dem Polsterstuhl stand und sich zum Ohr des Maestros vorbeugen musste. Doch, ganz fern erreichte ihn etwas. So wie die Erinnerung an Bewegung in einer seit langem gelähmten Hand, wie ein Impuls, der zwar letztlich ins Leere ging, doch immerhin, ein Impuls.
Das ist ein guter Ort, antwortete er, ich hab’s gleich gespürt.
Die Nächste bitte, sagte gläsern lächelnd die Assistentin mit geflochtenen Zöpfen und einem T-Shirt mit dem Aufdruck „Homeless No. 10“.
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Eine amerikanische Schauspielerin hatte sich geweigert, vor laufender Kamera die Genitalien ihres Kollegen in den Mund zu nehmen. Die Szene wurde erst abgeändert, dann ganz gestrichen. Die Kleiderverbrennung im KZ musste man durch geschickte Schnitte so zusammensetzen, dass der Eindruck entstand, die Häftlinge stünden nackt vor dem brennenden Haufen. Sein neuer Film soll ein Opus werden, vielleicht sein letzter Film, ein Vermächtnis.
Mireille saß von ihren beiden kichernden Freundinnen umschlossen im Flur des Hotels. Hundert Euro für einen Drehtag, das war leicht verdientes Geld. Dazu bräuchte sie sich nur auszuziehen und in Aspik gießen zu lassen. Selbstverständlich würde der Kopf draußen bleiben, hatte der Assistent versichert. Er tauchte in der Tür auf und raunte: Fleischbeschauung und deutete ihnen mit der Hand den Weg nach drinnen. Der Maestro war noch nicht anwesend. Sein Assistent telefonierte, goss Champagner nach– in zwei Runden, damit er nicht überschäumte und sagte durch die Zähne hindurch, dass sich die Mädchen schon mal entkleiden könnten. Der Anblick nackter Körper war ihm so geläufig wie das immer wechselnde Interieur eines Hauses dem Auge eines Nachlassverwalters. Die Mädchen pellten sich aus ihrer Winterkleidung, legten das Kichern ab. Mireille hockte sich auf einen Stuhl und legte ihre Wolljacke um die Knie. Der Maestro erschien mit rotem Schal, von seinem Stab und einer seifigen Haschischwolke umgeben. Er rieb sich nicht die Hände und sagte, dann wollen wir mal, sondern schickte seinen Assistenten mit der Frage, ob er die jungen Damen Schauspielerinnen erfrieren lassen wolle, aus dem Raum, um einen Heizlüfter zu besorgen. Er nippte am Glas, verzog das Gesicht, rückte an seiner Sonnenbrille herum und da der Assistent nicht zurück zu kommen schien, beratschlagte er und meinte dann, er würde es kurz machen, die Damen mögen einzeln vortreten.
Mireilles Freundin, die das Casting in der Zeitung entdeckt hatte (Mensch, hundert Steine am Tag!), setzte ihr langes Bein in den Scheinwerferkegel, dann zog sie ihren Körper nach wie eine Katze. Sie ließ ihr Hemd wie einen Propeller über sich kreisen, drehte sich um sich selbst, wobei die fleischigen Pobacken ihren Stringtanga überquollen.
Und?, flüsterte eine Frau aus dem Stab, die rechts hinter dem Polsterstuhl stand und sich zum Ohr des Maestros vorbeugen musste. Doch, ganz fern erreichte ihn etwas. So wie die Erinnerung an Bewegung in einer seit langem gelähmten Hand, wie ein Impuls, der zwar letztlich ins Leere ging, doch immerhin, ein Impuls.
Das ist ein guter Ort, antwortete er, ich hab’s gleich gespürt.
Die Nächste bitte, sagte gläsern lächelnd die Assistentin mit geflochtenen Zöpfen und einem T-Shirt mit dem Aufdruck „Homeless No. 10“.
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Autor.in - 1. Jul, 13:29
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