Samstag, 1. September 2007

Die Göttin neben mir

Deswegen kommst du erst jetzt, stellte Josephine fest.
Mich wollte kein Taxifahrer mitnehmen, sagte ich.
Ich hätte dich ja abholen können.
Es gab da Einiges, dass ich ihr nicht erklären konnte. Zum Beispiel, warum mir dieses abgehärmte Fellbündel überhaupt im Müll an der Straße aufgefallen war oder warum ich ohne nachzudenken nach ihm griff. Mir war es selbst schleierhaft, wie ich es unbemerkt durch den Zoll geschleust hatte oder wie es mir gelungen war, die Stewardess zu besänftigen. Schon bevor mir die Katze zulief oder genauer, bevor ich ihr meine Idee von einem besseren Leben aufdrängte, hatte ich zu Hause angerufen und Josephine gesagt, dass sie mich nicht abzuholen brauche. Dreizehn Stunden Flug erschienen mir viel zu kurz, um von Nepal Abschied zu nehmen und in Wien anzukommen, bei Josephine.
Ich nannte die Katze Kumari und erklärte meiner Frau, ich hätte das Wort irgendwo aufgegriffen, wüsste aber nicht, was es bedeute. Beim Tierarzt stellte sich heraus, dass Kumari alle erdenklichen Würmer und Ungeziefer mitgeschleppt hatte. Das Schicksal der Katze und dass der Arzt sozusagen Entwicklungshilfe leistete, machten keinen Eindruck auf ihn: Er schrieb eine stattliche Rechnung. Die kleinen Delikatessen, die ich für Kumari kaufte, brachten ihr Fell zum Glänzen. Ein einfaches Ei hätte die selbe Wirkung, meinte Josephine, aber die Katze nahm zu und wurde ein schwarzes graziles Luxusstück, das den Küchenschrank krönte und von dort nicht herunter zu locken war. Ihr Futter holte sie sich, wenn wir schliefen oder außer Haus waren. Wenn sie zur Katzentoilette huschte, bekamen wir höchstens ihre Schwanzspitze zu sehen.
Ob ich an das Mädchen dachte? Wir schrieben uns per E-Mail. Sie stellte in ihrem schlichten, aber fast fehlerfreien Englisch Fragen zu Wien und den Schlössern und Parks. Sie schrieb, dass sie gern in Europa Architektur studieren würde. Ab und zu fügte sie einen deutschen Satz ein, den sie mit Hilfe eines Wörterbuchs zusammengesucht hatte. Ich überflog ihre langen Briefe im Büro, schrieb ein paar Worte in der Art, dass ich mich gern an die Stunden mit ihr erinnere und dass ich mich von ihr umkreist fühle wie von einem Stern. Genauer, aber unpoetischer, hätte ich schreiben müssen, sie umkreise mich wie ein Mond und das war noch auf eine zweite Weise wahr. Denn der Mond war wie ihr Bild mal ganz, mal halb, mal gar nicht sichtbar, abhängig von jenem dritten Gestirn, der Erinnerung. Wie konnte ich den wenigen Stunden trauen, in denen wir uns kennen gelernt hatten. In einer anderen Welt, in einer Ausnahmesituation.
Wir hatten uns nichts versprochen. Trotzdem zog ich es vor, Josephine nichts davon zu erzählen. Irgendwann schlief der Kontakt von selbst ein. Vielleicht war auch ich es, der aufhörte zu schreiben.
Ein paar Jahre später rief eine Frau im Büro an und sagte auf Deutsch, sie sei Rashmila aus Nepal und ob ich mich noch an sie erinnere. Mir fiel der Hörer aus der Hand und beim Hochheben muss ich versehentlich eine Taste berührt haben. Die Verbindung war beendet. Ich rief die Nummer zurück. Ich entschuldigte mich und fragte, wer dort sei. Rashmila sprach nun Englisch. Ich fragte in irgendeiner Geistesgegenwart, wo sie sich gerade aufhalte.
I´m in Vienna, antwortete sie selbstverständlich.
Where are you?, fragte ich noch mal.
In a hotel in Porzellangasse.
Stay where you are, rief ich in den Hörer und rannte am fragenden Gesicht meines Kollegen vorbei aus dem Büro. Im Taxi versuchte ich einen klaren Gedanken zu fassen und fragte mich, ob es nicht etwas voreilig war, zu ihr zu fahren ohne nach Begleitumständen zu fragen. Es konnte ja sein, dass sie geheiratet hatte und mit ihrem Mann durch Europa reiste. Aber viel stärker war der Wunsch, sie zu sehen, sie mit dem Bild abzugleichen, dass ich mir von ihr gemacht hatte.
In der Lobby des Hotels saß eine Frau mit Pagenschnitt und einer eleganten Anzugjacke über einem lila Rock, dessen goldener Rand auf dem Boden schleifte, als sie strahlend auf mich zu kam, ihre weißen Perlenzähne entblößte und meinen Namen nannte. Wir aßen in einem kleinen Restaurant, dass ich gut kannte, weil ich dort sonst mit Josephine aß und wir erzählten, als würden wir nur an die letzte E-Mail anknüpfen und mir fiel wieder ein, dass uns in den wenigen Stunden damals mehr verbunden hatte als eine körperliche Anziehung und dass mir zwar immer ihre knabenhaften Hüften und die schwarzen Augen vorgeschwebt hatten, aber nur, weil es das einzige Konkrete an dieser Erinnerung war. Ihr Körper war weiblicher geworden und sie sah so unwahrscheinlich schön aus, dass ich ihr gegenüber nie etwas anderes empfunden hätte als das Hingezogensein zu etwas Unerreichbarem. So und auch nur so, konnte ich Josephine die ganze Geschichte erzählen, denn ich wollte Rashmila nicht von meinem Leben ausschließen, ich wollte, dass sich beide Frauen kennen lernten und irgendwie ließ sich Josephine von der Harmlosigkeit der ganzen Sache überzeugen und stimmte zu, dass Rashmila ein paar Tage bei uns wohnen konnte.
Als Rashmila die Wohnung betrat, geschah etwas Merkwürdiges. Die beiden Frauen hatten sich gerade zurückhaltend begrüßt, als Kumari am Ende des Flures auftauchte, kurz stehen blieb und, wie es schien, unseren Gast anvisierte. Sie gab ein Tönchen von sich und wandelte in aller Seelenruhe in die Küche zurück. Beim Essen saß Kumari in einiger Entfernung auf dem Sofa, wo sie noch nie gesessen hatte und Rashmila hatte kaum ihr Besteck aus der Hand gelegt, da sprang ihr die Katze auf den Schoß und ließ sich streicheln.
Josephine versuchte sich ihre Gekränktheit nicht anmerken zu lassen und ich sagte im Scherz, dass Rashmila und die Katze die gleiche Sprache sprächen.
Ich machte für Rashmila eine Liste, wann sie welche Sehenswürdigkeit besichtigen könnte, erklätte ihr die Wege auf dem Stadtplan und versprach, am Wochenende mit ihr nach Schönbrunn zu fahren. Als ich am Donnerstagabend nach Hause kam, fand ich einen Zettel. Sie bedankte sich für unsere Gastfreundlichkeit und sei schon auf dem Weg nach England, wenn wir den Zettel finden würden.
Kurz darauf wurde Kumari krank. Der Arzt röntgte sie, entnahm Blut. Er konnte nicht sagen, was es war und verwies mich an einen Tierpsychologen.
Die Krankheit wirkte sich so aus, dass Kumari den Futterbecher nicht mehr ausschleckte, und sich in der Küche ihren Platz eine Etage tiefer neben der Arbeitsfläche einrichtete. Sie flitzte auch nicht mehr auf Toilette, sondern ging gemächlich, und alles hätte genauso gut als Zeichen einer normalen, gesunden Katze gelten können, wenn ihr nicht eine unbeschreibliche Traurigkeit anlastete.
Nach zwei Jahren kam per Post eine Nachricht aus England über Rashmilas Vermählung mit einem deutschen Ingenieur und sie lud uns herzlich aber augenfällig der Höflichkeit wegen zu ihrer Hochzeit ein. Uns. Dieses Uns bestand bald nur noch aus Kumari und mir. Josephine offenbarte mir, dass sie schon seit einiger Zeit ein Verhältnis mit einem Kollegen hatte und dass es an mir lag, weil ich für die Katze mehr Aufmerksamkeit übrig gehabt hätte als für sie. Es half nicht, ihr die schönen Stunden, die überwundenen Krisen, die gewachsene Verbindung aufzuzählen.
Ich ertappte mich dabei, dass ich immer häufiger an Rashmila dachte und versuchte, mir sie in England an der Seite eines Mannes vorzustellen, der wahrscheinlich zur Hochzeit einen Vertrag mit ihr abgeschlossen hatte, der schon die Scheidungsbedingungen festlegte. Ein deutscher Ingenieur. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Dafür wurde unser Spaziergang durch den ehemaligen Klostergarten wieder so lebendig, als wären zwischendurch nicht ganze sieben Jahre vergangen. Ich sah sie unter dem Torbogen mit vergoldeten Drachen und Schlangen stehen, als wir uns verabschiedeten. Nicht einmal einen Kuss haben wir gewagt. Sie glaubte an die Wiedergeburt und hatte mir fest in die Augen gesehen und ohne einen Anflug von Traurigkeit gesagt: Also dann, bis zum nächsten Leben.

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