Sonntag, 1. April 2007

Katzennacht

Wenn andere Menschen zu Bett gehen, erwache ich. Ich erwache von einem Grollen, das aus meinem Inneren kommen muss. Ich schlüpfe in die kleinen Stoffpantoffeln; sie tragen mich in die Küche, vorbei am Bad mit dem kaltgewordenen Badewasser, das noch duftet. Ich hatte vergessen, den Stöpsel zu ziehen. In der Küche finde ich nichts zu Essen, die Schränke sind leer, einzukaufen hatte ich auch vergessen. Nur Schokoladen-Eier im feinmaschigen roten Netz liegen noch in einer Schale von Ostern. Ich wickle eins aus, die Folie ist hauchdünn, reißt, ich muss Ei für Ei mühsam abpellen. Das bringt wenig, am liebsten hätte ich mir eine Hand voll in den Mund gestopft. Es grollt wieder. Ich halte es nicht aus. Ich nehme dies und jenes Kleidungsstück zur Hand, aber ich bin zittrig, muss los, ziehe nur einen schwarzen Stoffmantel über das Nachthemd, schlüpfe in meine Pumps, die Zehen entspannen sich, weil ich sie in den Stoffpantoffeln immer einkrallen muss, um nicht zu schlurfen. Ich erinnere mich an die Katze, die mir einmal zugelaufen war. Sie suchte sich zum Schlafen eine winzige Kiste, deren Wände die Tatzen an ihren Körper drückten, so dass sie ihr nicht wegrutschen konnten. Wenn ich das Tier schlafend aus der Kiste nahm, hing es schlaff in meinen Händen wie ein leeres Stück Fell. Aber das Fell atmete und ein Ohr zuckte von der Fliege, die es im Traum streifte. Die Vorstellung, zehn winzige Katzen an meinen Füßen zu tragen, behagt mir nicht. Ich ziehe die Pumps wieder aus. Meine Stoffpantoffeln tragen mich die Steinstufen hinunter, lautlos durchs Haus. Trotzdem weiß ich, dass sie wissen, dass ich es wieder bin. Frau Wächner schüttelt hinter der Gardine den Kopf und sagt, so etwas müsste man verbieten. Sie wird lange keinen Schlaf finden, sie wird eine Schlaftablette nehmen und ihr Mann wird, wenn sie endlich schläft, in den Schlitz seiner Pyjamahose greifen und seinen Atem so gleichmäßig halten, als würde er tief schlafen.
Der Imbissstand hat schon geschlossen. Die Nacht ist weder warm noch kalt. Ich spüre die Luft auf meiner Haut, an meinem Hals, an den Beinen. Eine Ratte verschwindet in einem halboffenen Müllcontainer. Ich wusste nicht, das Ratten so gut klettern können. In der Bar Zur Mäusefalle brennt Licht. Zu Essen werden nur Pommes frites geboten. Ich habe kein Geld bei mir. Nicht vergessen, ich habe keines. Ich soll für sie tanzen, sie drehen die Musik auf. Vielleicht habe ich das schon einmal getan. Ich steige auf den Tisch. Ich klatsche in die Hände und schlüpfe in die Haut einer Flamencotänzerin. Ich weiß, dass sie denken, dass ich nicht weiß, was ich tue. Ihre Blicke treffen meine Scham. Sie pulsiert, ich pulsiere, schwelle an. Sie strecken mir ihre Finger entgegen. Ich könnte mein Nachthemd über einen Kopf stülpen, über Augen, Mund, stachelnden Bart.
Nur einer, der abseits sitzt und seinen Augen nicht zu trauen scheint, zieht mich an. Ich tanze ihm zu, obwohl er zu jung ist, schüchtern, Pickel im Gesicht, noch nie eine Frau gehabt, denke ich. Seine Augen gefallen mir.
Der Wirt hält mir die Pommes auf einem Teller hin, ich steige herab, eine Hand landet auf meinem Hintern. Ich sehe ein fettes, rotes Gesicht und dränge mich zu einem freien Platz. Sie starren mich noch eine Weile an, wie ich die Pommes einzeln durch den Ketchup ziehe, an zwei Fingern hochhebe wie Sprotten und sie zappelnd in meinem Mund verschwinden lasse. Ich höre nicht, was sie reden, nur die Musik.
Ich weiß auch nicht, ob der Junge etwas zu mir gesagt hat, oder ob er mir stillschweigend folgt. Vor dem Container liegt zerfetzte Pappe. Hinter mir spüre ich den Jungen, der mir an einer unsichtbaren Kette folgt.
Bei Wächners brennt Licht. So können sie nicht auf die Straße sehen. Die Wirkung der Tablette hat nicht lange angehalten. In Erwartung der regelmäßigen Empörsamkeit stopft sich Frau Wächner die Ohren zu, setzt ihre Gummibadekappe auf, damit die Stöpsel nicht herausfallen und unter ihrem Kopfkissen betet sie zum Herrgott, dass das da oben endlich aufhört, also ich, dass ich endlich abtransportiert werde, weil so etwas verboten gehört.
Im Treppenhaus...

Weiter lesen in: All die schönen Sünden, Rowohlt oder zu hören unter gleichnamigem Titel bei audiobook
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Short, but tender

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