Sie liebt mich. Allerdings hätte sie mich, besäße sie eine Waffe, längst erschossen. Deshalb liegt im Öffnen meiner Wohnungstür ein gewisses Risiko. Weshalb ich mitunter die Tür nicht öffne und auf diese Weise schon eine eilige Zustellsache verpasst habe.
Ich liebe sie auch, aber es gibt Dinge, deren ich mir sicherer bin. Sie ist sich mit ihrem Übermaß an Einfühlung sicher, dass ich sie eigentlich, also wesentlich und theoretisch lieben würde, wenn es praktisch nicht so viele Wenn und Aber gäbe. Für meine reale, also unrichtige Erscheinung, findet sie wunderbare Erklärungen, z.B. für mein Zuspätkommen zum Abendessen mit ihren Eltern, das sie als Zeichen meiner Rücksichtnahme deutet. So brauche ich mir nie Entschuldigungen einfallen zu lassen, selbst wenn ich als ausgesprochen ausgehfreudiger Mensch ausgerechnet an ihrem freien Abend nicht ausgehen mag. Das Nichtöffnen meiner Tür hat auch nur in einem Drittel der Fälle mit anderen Frauen zu tun. Wirklich, sie ist das wunderbarste Wesen, das ich kenne.
Neulich hat sie mich verlassen. Sie hat mir zum Abschied etwas vor die Tür gestellt. Ich hörte sie durch die Risse im Holz atmen. Ihre energischen Schritte hallten durch das Treppenhaus.
Sie wollte immer ein Kind oder eine Katze und ich einen Porsche oder wenigstens einen Windhund.
Ich hob vorsichtig den Deckel des Pappkartons. Ein braunes Tier äugte mich mit schwarzen Kulleraugen an.
Hör mal, was soll ich denn mit so einem Tier, fragte ich Linda, Karla, Isabella, aber selbst die Frauen mit Kind ließen sich nicht zur Übernahme dieses Tieres erweichen. Jedes Mal, wenn ich auflegte, verstärkte sich das Gefühl, dass sie alle unter einer Decke stecken. Wenn eine Stimme am Telefon grinsen kann, dann habe ich dieses Grinsen gehört.
Ich hielt das Bad für einen geeigneten provisorischen Aufenthaltsort. Ich nahm die Futterschachtel, die Bürste, das Ratgeberbuch „A-Z des Meerschweinchenglücks“, die vakuumverschweißte Holzspäne „Horrorvakui“ und den Beutel mit Stroh heraus und setzte das Meerschweinchen in den Käfig. Warum ausgerechnet ein Tier, das die Evolution mit einem Gehirn überstanden hat, das ungefähr so arbeitet wie ein Strickleiternervensystem? Es saß schweigend in der Ecke und kackte unter sich hin. Wenn ich das Bad betrat, begann es auf Knopfdruck loszufressen, ganz so, als wäre es seine letzte Mahlzeit. Vielleicht fraß es auch lieber in Gesellschaft.
weiterlesen in: Macondo- Die Lust am Lesen, Edition 19
Es gibt mehr! Allerdings nicht hier. Aus veröffentlichungstechnischen Gründen wird diese Internetpräsenz ab jetzt Monat um Monat schrumpfen.
There is more. But not here. This blog is shrinking monthly.
Carpe diem!
Es beginnt mit einem lautlosen Vibrieren, das an den Schleudergang einer beladenen Waschmaschine erinnert, wenn sie sich allmählich in Schwung wuchtet und erst den Boden, auf dem sie steht, in Schwingung versetzt, sich dann auf die Wände überträgt, die mit dem Holzboden meines Zimmers verbunden sind und schließlich auf das Holzgestell meines Bettes. Ich spüre die Vibration in meinen Waden.
Wir liegen durchgeschwitzt nebeneinander, die Glückseligkeit ist auf dem Weg zum Fenster in den Gardinen hängen geblieben.
Sie sind überall. Mit ihren Brillen und streng nach hinten gekämmten Pferdeschwänzen, die unsere angehenden Akademikerinnen aussehen lassen wie Zwölfjährige. Mit überpuderten Pickeln, weggespartem Lippenstift. Sie tragen Hosen, körperbetont mit der Betonung auf wenig ausgewogene und schon gar nicht wogende Hinterteile. In der Linguistik ist es das Gleiche wie in den Naturwissenschaften und in der Abteilung für Psychologie. Nur in die Kulturwissenschaften verirren sich vereinzelt praktizierende Ästhetinnen, die jedoch, wenn ich das nächste Mal aufblicke, eine besitzergreifende Pranke auf ihrer Schulter liegen haben. Von einem männlichen Wesen, das eher zur ersten Kategorie Frau gepasst hätte, versteht sich.
Heute erklimme ich, meine Bücher unter dem Arm, die Wendeltreppe zur Philosophie. Das Thema für mein Referat hat mich nach einer halben Stunde des Ringens gepackt. Nach zwei Stunden jedoch fangen die Buchstaben unter meinen Augen an zu einem hellgrauen Brei zu verfließen und mir wird klar, dass der Inhalt der Zeilen schon seit der letzten Seite nicht mehr zu mir vorgedrungen war. Ich lege die Brille beiseite und breite die Arme über meinen Spiralblock und lege den Kopf in die weiche Mulde. Das Papier bildet eine Isolationsschicht zwischen meiner Wange und der Nacktheit des lackierten Holzes. Nirgends kann man so wunderbar schlafen wie in einer Bibliothek. Die gedämpften Geräusche verwischen zu dem so genannten weißen Rauschen, das einen an die Zeit im Mutterleib erinnern soll.
Ich hörte eine weiche Stimme. Sie ließ mich aus dem Uterus auftauchen und am Ufer der Realität stranden, wo allerdings ein sehr weich gezeichnetes Dekolleté in meinen Blick fiel. Ich setzte die Brille auf und war begeistert darüber, dass der Weichzeichner nur unwesentlich nachließ.
Du hast das einzige Exemplar, sagte die weiche Stimme.
(...)