Dienstag, 1. Juli 2008

Little heart

Sie liebt mich. Allerdings hätte sie mich, besäße sie eine Waffe, längst erschossen. Deshalb liegt im Öffnen meiner Wohnungstür ein gewisses Risiko. Weshalb ich mitunter die Tür nicht öffne und auf diese Weise schon eine eilige Zustellsache verpasst habe.
Ich liebe sie auch, aber es gibt Dinge, deren ich mir sicherer bin. Sie ist sich mit ihrem Übermaß an Einfühlung sicher, dass ich sie eigentlich, also wesentlich und theoretisch lieben würde, wenn es praktisch nicht so viele Wenn und Aber gäbe. Für meine reale, also unrichtige Erscheinung, findet sie wunderbare Erklärungen, z.B. für mein Zuspätkommen zum Abendessen mit ihren Eltern, das sie als Zeichen meiner Rücksichtnahme deutet. So brauche ich mir nie Entschuldigungen einfallen zu lassen, selbst wenn ich als ausgesprochen ausgehfreudiger Mensch ausgerechnet an ihrem freien Abend nicht ausgehen mag. Das Nichtöffnen meiner Tür hat auch nur in einem Drittel der Fälle mit anderen Frauen zu tun. Wirklich, sie ist das wunderbarste Wesen, das ich kenne.
Neulich hat sie mich verlassen. Sie hat mir zum Abschied etwas vor die Tür gestellt. Ich hörte sie durch die Risse im Holz atmen. Ihre energischen Schritte hallten durch das Treppenhaus.
Sie wollte immer ein Kind oder eine Katze und ich einen Porsche oder wenigstens einen Windhund.
Ich hob vorsichtig den Deckel des Pappkartons. Ein braunes Tier äugte mich mit schwarzen Kulleraugen an.
Hör mal, was soll ich denn mit so einem Tier, fragte ich Linda, Karla, Isabella, aber selbst die Frauen mit Kind ließen sich nicht zur Übernahme dieses Tieres erweichen. Jedes Mal, wenn ich auflegte, verstärkte sich das Gefühl, dass sie alle unter einer Decke stecken. Wenn eine Stimme am Telefon grinsen kann, dann habe ich dieses Grinsen gehört.
Ich hielt das Bad für einen geeigneten provisorischen Aufenthaltsort. Ich nahm die Futterschachtel, die Bürste, das Ratgeberbuch „A-Z des Meerschweinchenglücks“, die vakuumverschweißte Holzspäne „Horrorvakui“ und den Beutel mit Stroh heraus und setzte das Meerschweinchen in den Käfig. Warum ausgerechnet ein Tier, das die Evolution mit einem Gehirn überstanden hat, das ungefähr so arbeitet wie ein Strickleiternervensystem? Es saß schweigend in der Ecke und kackte unter sich hin. Wenn ich das Bad betrat, begann es auf Knopfdruck loszufressen, ganz so, als wäre es seine letzte Mahlzeit. Vielleicht fraß es auch lieber in Gesellschaft.

weiterlesen in: Macondo- Die Lust am Lesen, Edition 19
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Short, but tender

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