Donnerstag, 1. Februar 2007

Vierbeinig

[English version]

Meine Freunde haben auf den ersten Blick gesehen, dass es mit ihm und mir nicht gut gehen kann. Sie gaben uns höchstens ein paar Wochen. Und sie hatten absolut recht: Es ist eine Katastrophe und das schon seit fünf Jahren. Wir streiten uns nie, denn mein Kampfgeist tritt phasenverschoben zu seinem auf. Wir könnten uns z.B. nicht über einen Film oder ein Stück entzweien, weil ich nicht ins Kino gehe und er mich niemals ins Theater begleitet. Geschichten aus der Vergangenheit tauschen wir nicht aus. Wir sind uns nicht ähnlich genug, um uns in der Geschichte des anderen heimisch zu fühlen und nicht unterschiedlich genug, um die Geduld zum Zuhören aufzubringen. Selbst unsere Zukunft, die eigentlich gleichermaßen vor uns liegt, können wir uns nicht gemeinsam ausmalen. Er möchte in der Hauptstadt Karriere beim Fernsehen machen und wartet auf einen günstigen Moment. Ich studiere Landwirtschaft und möchte eine Korkplantage in Portugal übernehmen.
Was uns zusammenhält, ist natürlich die Bettgeschichte. Im Bett haben wir es gut miteinander. Wir entzünden uns gegenseitig, laden uns auf, legen die Nerven frei, bis sie wund werden. Was nicht heißt, dass es mit jemand anderem nicht gut oder sogar besser wäre. Und es ist auch nicht immer gut. Es gibt eben solche und solche Nächte.
Immer gleich ist die kleine Verwandlung, die mit ihm vor sich geht, kurz nachdem er das Kondom routiniert abgezogen und das Gewicht seiner in Gummi baumelnden Leistung eingeschätzt hat. Er überbrückt noch notdürftig mit dem gestreckten Arm die Entfernung, die durch die Kondomentsorgung zwischen uns entstanden ist, dann rollt er sich ausgepowert und zufrieden zum Schlafen ein. Er schläft sofort ein und nach einer Weile höre ich an seiner Hand (immer ist es die Rechte), wie die Fingernägel wachsen. Die Krallen biegen sich um samtweiche Ballen und die Finger ziehen sich ein, die Hand wird runder und die Härchen auf dem Handrücken beginnen zu wuchern. An seinem Kopf schieben sich die Spitzen der Ohren aus den Haaren und glänzendes, schwarzsamtiges Haar wächst nun aus jeder Pore seinen Körpers. Der Schwanz legt sich in behaglichem Bogen vor seinen Bauch. Wenn ihn im Traum etwas aufregt, beginnt die Schwanzspitze zu zucken. Dann streichle ich ihn und manchmal erwacht er kurz, blickt mir klar und brunnentief und irgendwie abwesend in die Augen, putzt aus Reflex einmal über seine stattlichen Schnurrhaare und schläft weiter.
Mit dem Morgenlicht gewinnt er seine alte Gestalt zurück. Er schaltet seine Fernseh- und Hauptstadtgedanken ein, noch bevor er merkt, dass jemand neben ihm liegt. Einen Morgenkuss erwarte ich schon lange nicht mehr. Ich bin glücklich über sein kleines Geheimnis und behalte es natürlich für mich, denn ich würde ihn ungern in seinem Selbstbild verstören.
Da ich so genau weiß, warum ich an ihm hänge, frage ich mich nur von Zeit zu Zeit, was ihn eigentlich an mir hält.


veröffentlicht in: Tierische Liebe, Eichborn, 2005
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Short, but tender

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