Donnerstag, 3. Januar 2008

Hanane

Kaum hatten wir den Vorraum durchschritten, umgab uns der Geruch von Moos. In dichten Schleiern stieg die heiße Feuchtigkeit auf. Aus vergoldeten Schlangenköpfen floss unaufhörlich das Wasser. Ich füllte eine Schale und ließ das Wasser in die Zweite überschwappen, hin und wieder zurück. Ich hatte ein Tüchlein unter mich gelegt, so wie die Tante es mir gezeigt hatte. Wenn ich mich drehte und beugte, spürte ich den nassgesogenen Stoff. Ich ließ das Wasser über meinen Rücken laufen, dann über die Brüste. Es jagte mir einen Schauder ein, immer noch war es ein wenig zu heiß. Die Tante seifte mich ein, schrubbte meinen Rücken und schlug mit dem Lappen, dass es schäumte. Dabei dachte sie an den unglücklichen Onkel, der für ein Jahr von der Familie weggeschickt worden war, weil er seine schwarzen ausufernden Augen nicht von mir lassen konnte. Meine Beckenknochen scheuerten auf den Kacheln, aber ich gab keinen Ton von mir.
Ich trocknete mich ab und hüllte mich in ein Laken. Die Tante bestellte einen Tee für uns und ich ließ mich auf einem Teppich nieder, schob mir die Seidenkissen mit Knöpfen und goldenen Troddeln zurecht. Musik wurde angestellt. Ich nippte an dem Gläschen. Die Tante redete mit gedämpfter Stimme und flinken Handbewegungen mit den anderen Frauen, die wie Schiffe aus Fleisch auf einem trägen Meer wogten.
Ich träumte meinen liebsten Traum.
Ich hätte einen Raum für mich allein mit einem großen Spiegel darin. Vor ihm würde ich einen Tanz üben, mit dem ich meinem zukünftigen Mann gefallen würde. Wenn ich mir vorstellte, wie er sich mit begehrlichen Blicken bis zum Ende des Tanzes zügeln musste, sah ich Farshad, meinen mittleren Bruder vor mir. Der hart ausgestoßene Schlag der Musik drang in meinen Körper und wurde weich aufgefangen. Ich kreuzte die Enden eines dreieckigen Tuches über der Brust. Der durchscheinende Stoff glitt über meine Brüste. Die Fransen ahmten mit kitzelnden Schwüngen das ruckartige Winden meines Körpers nach. Ich griff in die Luft, um das schöne Gesicht meines Geliebten zu umschreiben. Ich schob meinen Rock in beiläufigen Bewegungen über die Hüften, sah Farshad an den Stäben des Brudergefängnisses rütteln und schreien, ohne das ein Ton aus ihm drang.
Zeit für die Massage, Hanane, sagte die Tante.

(...)
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1519mal gelesen
kurt_starke - 4. Jan, 21:57

Heiß

Soll der Titel Hamam heißen?

Autor.in - 4. Jan, 22:42

Das wäre als Titel

auch in Betracht gekommen. Aber Sie haben den Ort ja auch so erraten. Der Name Hanane hat eine schöne Übersetzung ;-)
Autor.in - 10. Jan, 19:47

ach so, also Hanane ist arabisch und heißt Zärtlichkeit.
Talakallea Thymon - 8. Jan, 09:09

Und die Katze, mh?

Ein sinnlich-schöner Text, mir gefällt das Behutsame, Verschleierte, Angetupft und -gedeutete. Was oft so schwer zu erreichen ist (und meist auch gar nicht versucht wird), ist hier gelungen: eine Erotik, die so schwebend ist, daß sie fast ungeschlechtlich bleibt, so paradox das klingen mag -- der Text beweist, daß das möglich ist.

Die besten Texte, meine ich, sind die, wo die Welt nicht abgebildet oder gedeutet, sondern gesprengt und überwunden wird. So wie hier.

Autor.in - 10. Jan, 19:47

An den Katzenhaaren

müsste die Katze hier herbei gezogen wären, aber Sie haben vollkommen Recht, das war ja versprochen, dass in jedem Text irgendwo so ein Tier versteckt ist und sei es nur in einem angedeuteten Schnurren. Fällt Ihnen für diese Story etwas Rafiniertes ein?
Und danke für die Komplimente, das freut das Autor.in.en-Herz.
Die Welt überwinden und brechen, hm, wie meinen Sie das?
Talakallea Thymon - 11. Jan, 10:16

Ich meine das so, daß die evozierten Dinge mehr sind als sie sind; daß es, wie in einem Prisma, mehrere Deutungsmöglichkeiten dessen gibt, was man sieht; daß diese Deutungen einander auch widersprechen können; daß alles sehr nah ist, und doch undeutlich, aufgelöst in seine Einzelteile. So in etwa. Ich meine keine Symbolik oder ähnliches, sondern ein Zerlegen und Neuzusammenfügen.

Mh, das klingt alles nicht erhellend, was ich da versuche, zu bestimmen. Ich muß noch einmal darüber nachdenken. Genau wie über die versteckte/verschwundene/überwundene Katze ...

Autor.in - 17. Jan, 17:44

Deutungsoffenheit

...macht meines Erachtens eine der Qualitäten eines Textes aus, d.h. auch, dass sich viele Menschen darin wohl oder wieder finden oder etwas erkennen können, selbst wenn es für jeden etwas anderes ist. Künstlerische Wahrheit ist wahr ohne beweisbar zu sein.
Halten Sie die Katze, die ja eigentlich durch jeden Text streunen sollte, für überwindenswert?

Short, but tender

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